Kultur

SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT WIDMET GILBERT & GEORGE EINE GROSSE RETROSPEKTIVE

ÜBER 50 JAHRE “LIVING SCULPTURE“

Gilbert & George, 2015
(Quelle: Tom Oldham)
GDN - Seit über einem halben Jahrhundert schaffen Gilbert & George gemeinsam Kunst. Ihr herausragendes Å’uvre ist bis heute von ungebrochener Brisanz und Bedeutung. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet dem bildgewaltigen und bisweilen provokativen Universum der gefeierten Künstler eine umfangreiche Retro
Zwei Personen, ein Künstler: Seit ihrer ersten Begegnung in der Londoner Saint Martin“™s School of Art 1967 stellen Gilbert & George den künstlerischen Kanon und Konventionen schonungslos in Frage. Gleichzeitig Subjekt und Objekt ihrer Kunst, bilden sie eine vollkommene künstlerische Einheit, die nicht zwischen Kunst und Leben unterscheidet. Als Living Sculpture verkörpern sie ihre Kunst und sind Thema und Gegenstand ihrer großformatigen, gerasterten Bildwelten. Ihre Bilder folgen keiner ästhetischen, formalistischen oder konzeptuellen Intention - was zählt, ist der Inhalt.
Gilbert & George behandeln in ihrer Kunst die großen existenziellen Fragen. Ihre Kunst kreist um Tod, Hoffnung, Leben, Angst, Sex, Geld, Ethnie und Religion. Es sind auch gesellschaftliche Themen, die sie in ihrer Widersprüchlichkeit zeigen: zugleich fröhlich und tragisch, grotesk und ernst, surreal und symbolisch. Gilbert & George befassen sich mit dem, was beunruhigt. Ihr Ziel ist es dabei nicht zu schockieren, sondern vielmehr unter ihrem Credo “Kunst für alle“ sichtbar zu machen, was sich in der Welt abspielt. Punks und Hipster, Autoritäten und Außenseiter, Schlagzeilen und Werbung - überall mischen sich Gilbert & George ein. Ihre Kunst fordert das Weltbild heraus und erweist sich darin immer wieder von Neuem als zukunftsweisend.
Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, sagt: “Gilbert & George haben sich gänzlich der Kunst verschrieben und hören nicht auf, sie mit harter Disziplin und endloser Fantasie zu befragen und zu erweitern. Sie schaffen Kunst, die hinsieht, sichtbar macht und herausfordert. So ist in fünf Jahrzehnten ein in jeder Hinsicht beeindruckendes Panorama von Tausenden von Bildern entstanden. Ich freue mich sehr, dass wir in der Schirn Kunsthalle Frankfurt nun einen Überblick über das bildgewaltige, uferlose - und bisweilen provokante - Gesamtwerk von Gilbert & George ermöglichen können.“
Als junge Bildhauer etablierten Gilbert & George Ende der 1960er-Jahre ihre künstlerische Vorstellung als Living Sculpture. In nahezu perfekt abgestimmten, makellosen Anzügen sind die beiden eine unteilbare Einheit, die sich bedingungslos einem gemeinsamen Leben für die Kunst verschreibt und den Alltag ebenso kreativ wie streng geregelt gestaltet. Mit dieser selbstauferlegten Disziplin, einem Leben, das beinahe ausschließlich zwischen Wohnung und Atelier stattfindet und einfachen, klassenlosen Routinen folgt, haben sie einen Raum für absolute kreative Ungezwungenheit geschaffen.
Seit über fünf Jahrzehnten leben und arbeiten Gilbert & George im Londoner Stadtviertel Spitalfields und haben dessen Wandel erlebt und visualisiert. Ihre Wohnung und das Atelier in der Fournier Street sind seit dem Einzug 1968 das Zentrum ihrer Kunst. Zentrale Themen ihrer frühen Bilder sind Trinken und Trunkenheit, etwa in IN THE SHADOW OF THE GLASS (1972) oder SPILT DRINKS (1973). Nach zunächst vorrangig privaten Motiven wandten sie sich mit den DIRTY WORDS PICTURES (1977) und Bildern wie QUEER und BENT SHIT CUNT ganz der Stadt zu. Ihre Kunst aus den späten 1970er-Jahren zeigen das Porträt eines verwahrlosten London in sozialem Aufruhr. In Bildern wie GUARD PLANTS (1980) oder TWO PATRIOTS (1980) tauchen erstmals andere Menschen auf.
Um 1974 begannen Gilbert & George ihre Bilder in ein Raster einzufügen, das zu ihrer Signatur wurde und das sie bis heute verwenden. Sie entwickelten eine unverwechselbare Technik, die es ihnen ermöglicht, großformatige, komplexe Bilder zu realisieren. Ausgehend von detaillierten Skizzen ordneten sie Negative und belichteten sie auf mehreren zusammengefügten Fotopapieren. Nach der Entwicklung wurden sie einzeln von Hand koloriert, gerahmt und zu monumentalen Arbeiten zusammengesetzt.
CHRISTS, 1992, 253 x 426 cm
Quelle: Courtesy of Gilbert & George
In den 1980er-Jahren kamen zum Schwarz-Weiß der frühen Jahre zunächst Rot, dann nach und nach weitere Farben hinzu und wurden zu einem tragenden symbolischen wie atmosphärischen Bestandteil der Kunst von Gilbert & George. Ihre Bilder wurden größer und provokanter. Symbolgeladene Motive in grellen Farben stellen gängige Wertvorstellungen zu Sex, Religion und Beziehungen infrage. Dazu zählen u. a. die 1982 Pictures (1982/83), eine Reihe aus Piktogrammen, von denen die Schirn u. a. SPERM EATERS und TONGUE FUCK präsentiert, sowie die NEW DEMOCRATIC PICTURES (1991/92) mit Bildern wie CITY DROP und CHRISTS.
NAKED FLATS, 1994, 253 x 639 cm
Quelle: Courtesy of Gilbert & George
In den 1980er-Jahren kamen zum Schwarz-Weiß der frühen Jahre zunächst Rot, dann nach und nach weitere Farben hinzu und wurden zu einem tragenden symbolischen wie atmosphärischen Bestandteil der Kunst von Gilbert & George. Ihre Bilder wurden größer und provokanter. Symbolgeladene Motive in grellen Farben stellen gängige Wertvorstellungen zu Sex, Religion und Beziehungen infrage. Dazu zählen u. a. die 1982 Pictures (1982/83), eine Reihe aus Piktogrammen, von denen die Schirn u. a. SPERM EATERS und TONGUE FUCK präsentiert, sowie die NEW DEMOCRATIC PICTURES (1991/92) mit Bildern wie CITY DROP und CHRISTS.
Mitte der 1990er-Jahre rückten Gilbert & George als Reaktion auf die Aids-Krise ihre nackten Körper, Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin und Sperma sowie Exkremente in den Fokus ihrer Kunst. Sie sahen darin den direktesten Ausdruck ihrer selbst und der menschlichen Sterblichkeit. Neben den RUDIMENTARY PICTURES (1998) PISS GARDEN und BLOOD CITY zeigt die Ausstellung auch BUM HOLES oder NAKED FLATS aus der Gruppe NAKED SHIT PICTURES (1994).
Zentrale wiederkehrende Themen ihrer Kunst sind Religion und Politik, etwa in AKIMBO aus der Gruppe SONOFAGOD PICTURES (2005), das verschiedene Glaubenssymbole zusammenführt. Wenig später widmeten sich Gilbert & George mit einer ihrer umfangreichsten Serien, den JACK FREAK PICTURES (2008), dem Thema Nationalismus und kombinierten als Grundelement den Union Jack, etwa in JESUS JACK und GOLD JACK.
BEARDARY, 2016, 380 x 677 cm
Quelle: Gilbert & George and Galerie Thaddaeus Ropac
Gilberts & Georges Kunst reflektiert den Wandel des Lebens in all seinen Formen. Auf ihren täglichen Spaziergängen durch die Stadt haben die Künstler Tausende von Zeitungsschlagzeilen, Werbeanzeigen, Aufklebern, Schildern und Logos gesammelt - Dinge, die von den Menschen hinterlassen wurden und Ausdruck ihrer Lebensbedingungen sind. Aus den urbanen Fundstücken entstanden u. a. die LONDON PICTURES (2011), die SCAPEGOATING PICTURES (2013) oder die UTOPIAN PICTURES (2014), aus denen die Schirn Bilder wie DEATH LEAP, das monumentale, rund 20 Meter breite Triptychon SCAPEGOATING oder THEY SHOT THEM! präsentiert. Mit ihnen richten Gilbert & George erneut den Fokus auf blinde Flecken der Gesellschaft und hinterfragen soziale Tabus und Moralismus.
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